Die Evangelischen in Wallerstein - Teil 2

Über eine andere Badenerin aus adeligem Haus waren in dieser Zeit die Wallersteiner Protestanten beinahe – und dazu kostenlos! – zu einer eigenen Kirche gekommen. Wie ist das zu verstehen?

Die „Beinahe-Heirat“ des Fürsten Ludwig

Fürst Ludwig von Oettingen-Wallerstein

Als Fürst Ludwig, der Sohn von Fürst Kraft Ernst, ins heiratsfähige Alter kommt, wird für ihn eine geeignete Braut gesucht. Man findet sie in einer Dame aus dem badischen Herzogshaus, der Tochter des Großherzogs Karl Friedrich von Baden. Einziges Problem: Sie kommt aus einem streng evangelischen Elternhaus. Um ihr die Ausübung ihres evangelischen Bekenntnisses weiter zu ermöglichen, wird der Einbau einer evang. Hofkapelle in das Wallersteiner Schloss vorgesehen.

Die Pläne hierzu sind schon fertig, die Arbeiten an die Wallersteiner Handwerker vergeben. Eine evang. Pfarrei soll dazu errichtet werden, wobei der Geistliche neben der Stelle eines Hofpredigers auch Ehringen und Baldingen zu versorgen hat. Seinen Dienst hat er am 29. September 1813 anzutreten.

Doch nun tritt etwas Unerwartetes ein: Die Heiratsabsicht des Fürsten Ludwig – aus welchem Grund bleibt unbekannt – zerschlägt sich.

Aber immerhin scheint diese Episode im fürstlichen Haus einen Sinneswandel zugunsten der Protestanten hervorgerufen zu haben. Das zeigt sich darin, dass Fürst Ludwig weiter bestrebt ist, die kleine Wallersteiner Protestantenschar zu unterstützen. Und dazu bietet sich ihm gleich eine Gelegenheit:

Die Trennung des Pfarreiverbandes Ehringen/Wallerstein

Durch die unglückliche Grenzziehung im Jahre 1810 war der Westteil des Rieses dem Königreich Württemberg zugeschlagen worden. Gleichzeitig wird damit auch der alte bestehende Pfarrverband Ehringen/Benzenzimmern getrennt

Schlosskirche

(Benzenzimmern ist nun württembergisch). Ersatzweise wird zunächst Ehringen von der Pfarrstelle in Baldingen weiter versorgt.

Gründung der Pfarrgemeinde Ehringen-Wallerstein mit Sitz in Wallerstein

Veröffentlicht im „Wallersteiner Wochenblatt“ Nr. 11, vom 14. März 1831. (Ursprünglich sollte auch die Kirchengemeinde von Baldingen dazu gehören, die aber den Anschluss an die Spitalgemeinde in Nördlingen wünschte und dorthin überstellt wurde.)

Wallerstein den 14. März 1821

Wir Ludwig Craft Ernst Fürst

und Herr von Oettingen-Oettingen, dann Oettingen-Wallerstein zu Baldern und Sötern usw. usw. Kronobersthofmeister und erblicher Reichs-Rath des Königsreichs Baiern, Königlich Baierischer General-Major und Commandant der Landwehr des Rezatund Oberdonaukreises, Fürstlicher Ritter des Königlich Baierischen Ritter-Ordens des Heiligen Hubertus, Großkreutz des Königlich Baierischen Civil Verdienst Ordens der Baierischen Krone, des Königlich Würtembergischen großen goldenen Adler Ordens und des Großherzoglich Badischen Ordens der Treue.

Von dem Zeitpunkt an, da der Ort Binzenzimmern unter die Hoheit der Krone Würtemberg übergieng, war die Lage der protestantischen Einwohner der Stadtgemeinde Wallerstein und der Orte Ehringen und Baldingen ein Gegenstand Unserer besonderen Fürsorge. Wir sahen den bisherigen Pfarrverband derselben gelößt, und wünschten diesen Anlaß zu benutzen, um ihnen die Wohlthat einer eigenen Pfarrey zuzuwenden.

Unser Vorhaben ist auch in Erfüllung gekommen, die im Jahre 1812 angeknüpften Verhandlungen sind durch die Königliche Erklärung vom 14. Februar beendet, und die von Seiner Königlichen Majestät, huldreichst bewilligten Beiträge so wie die Opfer Unseres Aerars haben die Constituierung einer Pfarrey erzielt, welche die Benennung

Pfarrey Wallerstein, Ehringen, Baldingen

führt, und deren Pfarrer seinen Sitz in dem von Uns dazu unentgeldlich abgetretenen Pfarrhuse zu Wallerstein erhält.

Wir Ludwig Kraft Ernst

Fürst Ludwig geht nun daran, eine evang. Pfarrei Ehringen/Wallerstein mit Sitz in Wallerstein zu gründen. Am 14. Februar 1821 wird sie Wirklichkeit.

Ursprünglich sollte auch die Kirchengemeinde Baldingen dazu gehören, die sich aber lieber der Spitalgemeinde in Nördlingen anschließen wollte.

Auch ein Pfarrhaus stellt der Fürst dazu bereit, indem er ein in seinem Besitz befindliches Haus in der Weinstraße der neu gegründeten Kirchengemeinde überlässt. Wir halten damit fest: Die Pfarrei Ehringen-Wallerstein besteht seit 1821 mit Sitz in Wallerstein (vorher Benzenzimmern). Der erste Pfarrer, der dort aufzieht, heißt Ludwig Christoph Schäfer. Aber immer noch muss er für die Gesamtgemeinde in der Ehringer Kirche die Gottesdienste halten – dort, wo die Wallersteiner Kirchgänger kaum Platz finden.

Mit der Eingliederung des Fürstentums Oettingen-Wallerstein in das Königreich Bayern ist die königliche Regierung und das Oberkonsistorium in München in Baufragen zuständig. Mit Datum „16. März 1827“ senden die Wallersteiner Protestanten einen Brief dorthin. Unterschrieben ist er von acht Beamten des Fürstenhofs, u. a. von dem praktischen Arzt Dr. von Jan. Sie bitten darin um Erlaubnis, landesweit Geld für einen Kirchenbau sammeln zu dürfen, da sie selbst über keine Geldmittel verfügen. Ihren Wunsch begründen sie wie folgt:


1. Sie hätten kein eigenes Kirchenvermögen.
2. Die Ehringer Kirche sei zu klein.
3. Die Entfernung für alte Leute sei zu groß.


Aus nicht mehr ersichtlichen Gründen wird der Antrag von der Kirchenbehörde in München abgelehnt. Aber die Wallersteiner geben nun keine Ruhe mehr und legen nach: 1836 werden sie erneut in München vorstellig. Wieder sind es die gleichen Gründe, welche sie in ihrem Schreiben vorbringen. Doch diesmal fügen sie noch ein Gutachten bei, welches einen weiteren Grund für den Bau einer eigenen Kirche aufdeckt. In dem Gutachten wird nämlich festgestellt: „Die Ehringer Bauern würden sich den Wallersteiner Glaubensgenossen gegenüber „stets anmaßender und grober“ verhalten.

Wiederum wird der Antrag, für ein eigenes Gotteshaus Geld sammeln zu dürfen, von München abgelehnt (Grund unbekannt).

Der Wunsch nach einer eigenen Kirche in Wallerstein rückt damit in weite, weite Ferne. Noch runde 150 Jahre müssen die Wallersteiner die Gottesdienste in Ehringen besuchen und das „anmaßende und grobe“ Verhalten der Ehringer hinnehmen, bis traurige, durchaus unerwünschte, Ereignisse diesem Zustand ein Ende setzen.

Es ist der unselige 2. Weltkrieg, der eine Welle von Flüchtlingen – hauptsächlich aus den Ostgebieten - auslöst. Dadurch steigt im Jahre 1946 der Anteil der Evangelischen in Wallerstein auf mehr als 400 Gemeindeglieder an.

Dieser Zuzug bringt den Wunsch nach einem eigenen Gotteshaus in Wallerstein neuen Auftrieb.

Dobel

Eigentlicher Auslöser für die Errichtung einer Kirche samt Gemeindezentrum ist schließlich die Möglichkeit, ein geeignetes Grundstück am Grabenweg dafür vom Fürstenhaus erwerben zu können. In dieser Sache federführend tätig wird wieder ein Mitglied aus der Hofbeamtenschaft des Fürstenhauses, Herr Administrator Werner Dobel (geb.1904, gest. 1991). Er treibt nun in zähen Verhandlungen das Kirchenbauprojekt voran. Ohne Übertreibung darf man von ihm sagen, dass er für die evang. Gemeinde ein wahrer Segen gewesen ist. Vorbehaltlos unterstützt wird er dabei noch von dem Wallersteiner Kirchenvorsteher Johann Heiser (wohnhaft Herrenstr. HNr. 20) und dem damaligen Pfarrer der Gemeinde Ehringen-Wallerstein, Wilhelm Seegmüller. Nicht zu vergessen dessen Frau Luise. Ihr Engagement wird von der örtlichen Presse eigens gewürdigt. So heißt es in den Rieser Nachrichten vom 16. Oktober 1968 „sie und ihr Mann seien in unermüdlichem

Frau Seegmüller

Einsatz die treibenden Kräfte gewesen“.

Zusätzlichen Auftrieb erhält das Projekt „Kirchenbau“ noch durch eine Stiftung der Wallersteiner Lehrerin Malwine Melzner. Sie vermacht ihr Wohnhaus in der Weinstraße der evang. Kirche. Der Weiterverkauf des Hauses durch die Kirchengemeinde erbringt einen Erlös von 30.000.- DM und bildet den Grundstock des „Kirchenbaufonds Wallerstein“, der letztlich den Ausschlag gibt, dass auch der Landeskirchenrat dem Kirchenbau zustimmt.

An Frau Melzner erinnert noch ihre Grabtafel, die heute in die Nordwand der Versöhnungskirche eingelassen ist.

Planung und Aufsicht des ganzen Projektes werden an das Architekturbüro Lichtblau in München vergeben. Den Auftrag für die Bauausführung erhält die Fa. Heuchel in Nördlingen.

Die Grundsteinlegung erfolgt am 15. Oktober 1967. Die Einweihung der Kirche und des Gemeindezentrums findet ein Jahr später, am Sonntag, den 13. Oktober 1968 statt. Die Weihehandlungen vollzieht der damalige Kreisdekan, Oberkirchenrat Schmid.

Die Bankreihen der Kirche bieten 125 Gottesdienstbesuchern Platz – weitere 65 Sitzplätze können durch Öffnen einer Faltwand zum Gemeindesaal hin geschaffen werden.

Die Wallersteiner drücken nun keine Platzsorgen mehr, und sie brauchen nicht mehr in Ehringen vor der Türe stehen – ja, sie haben manchmal sogar Platz zum Liegen in ihrer eigenen Kirche!

Die Versöhnungskirche ist wohl der letzte Bau eines evangelischen Gotteshauses im Landkreis Donauries. Ihm waren noch die Errichtung der Christuskirche in Wemding, im Jahre 1954, und der Erlöserkirche in Deiningen, im Jahre 1961 vorausgegangen.

Nun feierten wir den 50. Geburtstag unserer Versöhnungskirche. Mögen wir es Gott anheimstellen, dass sie – in diesen für die Kirche schwieriger gewordenen Zeiten – weiterhin ein Ort des Gotteslobs und der Verkündigung bleiben kann.


Hartmut Steger